Prekäre Prostitution

Seit unserer Gründung vor über 40 Jahren unterstützen wir cis und trans Frauen, die prekär im Sexgewerbe tätig sind. Im Mittelpunkt unserer Beratung stehen die Selbstbestimmung und die Ressourcen der Frauen sowie die Ausweitung ihrer Handlungsspielräume. Auf politischer und fachöffentlicher Ebene leisten wir umfassende Netzwerk- und Bildungsarbeit, um für die Belange der Frauen zu sensibilisieren und ihre Anliegen voranzubringen.

Unsere Themen - Prostitution

Formen

Bordell, Club, Tagesterminwohnungen, Straßenprostitution oder online Freierakquise: Unsere Zielgruppe arbeitet in ganz unterschiedlichen Kontexten und meist prekär, also ohne Absicherung. Manche der Frauen geben ihr Einkommen zum Teil an Männer ab, die mehr oder weniger die Funktion eines Zuhälters übernehmen. Mal ist es der Lebenspartner, der auch ein eigenes prekäres Einkommen hat, mal lebt dieser Mann ausschließlich von ihren Einkünften und setzt sie unter Druck, der Prostitution nachzugehen.

Auch Betroffene von Zwangsprostitution gehören zu unseren Klientinnen und werden von unseren spezialisierten Mitarbeiterinnen im Arbeitsbereich Opferschutz bei Menschenhandel beraten und unterstützt. Auch wenn es im Einzelfall nicht immer einfach ist, unterscheiden wir klar zwischen selbstbestimmter Prostitution (auch wenn die Verhältnisse der Betreffenden wenig Optionen lassen) und Ausbeutung sowie Zwangsprostitution durch Dritte gegen den Willen der Klientin.

Rechtslage

Lange war Prostitution in Deutschland zwar nicht verboten, galt aber als ‚sittenwidrig‘ und gemeinschaftsschädlich‘. Das änderte sich 2001 mit der Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes (ProstSchG): Das Rechtsverhältnis zwischen Anbieter*innen und Käufern von Sexdienstleistungen wurde geklärt und die Rechte der in der Prostitution Tätigen gestärkt: Für die vereinbarte Leistung können sie nun Entgelt einklagen. Bei abhängiger Beschäftigung haben sie Anspruch auf Entlohnung und Zugang zur Sozialversicherung. Gleichzeitig wurden die Vorgaben für den Betrieb einer legalen Prostitutionsstätte präzisiert und die Abgrenzung zu illegaler Ausbeutung und Zuhälterei geschärft.

2016 wurde die gesetzliche Regelung durch das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) umgestaltet. Eingeführt wurden unter anderem eine Anmeldepflicht mit Informationsberatung sowie verpflichtende regelmäßige Gesundheitsberatungen für im Sexgewerbe Tätige.

Die Verwendung von Kondomen ist vorgeschrieben. Prostitutionsstätten sind erlaubnispflichtig, bestimmte Betriebsstandards sind vorgegeben und bei der Prüfung wird auch die persönliche Zuverlässigkeit der Betreibenden berücksichtigt.

Das Prostituiertenschutzgesetz birgt die Chance, auf der einen Seite durch die Erlaubnispflicht Betreiber*innen von Prostitutionsstätten stärker in die Verantwortung zu nehmen und auf der anderen Seite im Sexgewerbe Tätige umfassend zu informieren und damit zu stärken. Allerdings kommt es auf eine gute Umsetzung des Gesetzes an – hier gibt es mancherorts noch Verbesserungspotenzial. Denn nur wenn die Beratung erstsprachlich, vertraulich und wertschätzend stattfindet, werden diejenigen, die es betrifft, einen tatsächlichen Nutzen aus dem Gesetz ziehen können.

Die Lage der Betroffenen

Fast alle unsere Klientinnen haben schon im Herkunftsland am Rande des Existenzminimums oder in ökonomischer Unsicherheit gelebt. Das betrifft nicht nur diejenigen mit geringem Bildungsstand, sondern auch Akademikerinnen oder zum Beispiel Mitarbeiterinnen im Öffentlichen Dienst. Manche Frauen arbeiten vorübergehend im Sexgewerbe, um ihr Studium oder die Gründung eines eigenen Kleinunternehmens zu finanzieren. Sie können ihre Arbeit oft etwas freier gestalten, steigen nach Erreichen der nötigen Rücklagen aus und haben direkt eine Perspektive vor sich. Schwieriger ist die Lage derer, von deren Einnahmen auch weitere Familienangehörige oder andere Dritte leben: Sie sind häufig aus einer Notsituation und aus Mangel an ausreichenden Erwerbsalternativen in die Prostitution gegangen und stehen unter großem Druck, regelmäßig Geld zu schicken. Zur Not müssen sie auch dubiose Freier oder schlechtere Arbeitsbedingungen annehmen und können keine Rücklagen bilden. Daher sind sie besonders gefährdet, Gewalt zu erleben, oder in existenzielle und gesundheitliche Notlagen abzurutschen.

Entsprechend den jeweiligen individuellen Lebensumständen und der Marktlage bewegen sich unsere Klientinnen in einem breiten Spektrum zwischen relativ selbstbestimmter Sexarbeit und prekärer bis notgedrungener Prostitution. Mal haben sie mehr, oft aber eher weniger Kontrolle über ihre Arbeitsbedingungen und arbeiten immer wieder auch unter großem Druck.

Aus ganz freier Wahl und ohne äußere Zwänge sind die wenigsten unserer Klientinnen tätig: Für fast alle ist der Job unter den schlechten Optionen, die sie haben, noch die beste.

Viele der konkreten Probleme, die die Frauen haben, hängen mit den problematischen Kräfteverhältnissen im Sexgewerbe zusammen: Die Betreibenden der Prostitutionsstätten und deren Netzwerke, aber auch die Freier sind in einer viel stärkeren Position als die Frauen, die sich deswegen schwer gegen Willkür, wirtschaftliche Ausbeutung und auch Gewalt wehren können. Ihre Lage ist gekennzeichnet durch mangelnde Absicherung auf diversen Ebenen: Ohne Krankenversicherung, ohne Altersvorsorge und Rücklagen, um Verdienstausfälle zu kompensieren, sind sie enorm vulnerabel. Oft spielt sich der ganze Alltag der Frauen im Milieu ab. Die meisten haben auch keinen eigenen Wohnraum, sondern werden von den Bordellbetreibenden (gegen hohe Mieten) untergebracht. So haben sie kaum Rückzugsmöglichkeiten und Gelegenheit, jenseits der Szene in Deutschland anzukommen und gesellschaftlich teilzuhaben.

Unsere Themen - Prostitution

Unsere Position

Die öffentliche Diskussion zu Prostitution in Deutschland ist stark polarisiert und pauschalisierend: Auf der einen Seite stehen die Befürworter*innen der Anerkennung von Prostitution als gewöhnlicher Beruf. Für sie ist Sexarbeit ein selbstbestimmtes, aber durch gesellschaftlichen Konventionen diskriminiertes Gewerbe. Auf der anderen Seite fordern Befürworter*innen eines Sexkaufverbots die Abschaffung der Prostitution. Sie betrachten jede Frau in der Prostitution als Opfer von Gewalt (Viktimisierung).

FIM steht dagegen in einer feministischen Tradition, die die Lebenssituation und Tätigkeit der Frauen respektiert und sie in jeglicher Lebenslage – auch im Sexgewerbe – in ihrer Selbstbestimmung unterstützt.

Gleichzeitig lenken wir Aufmerksamkeit auf die asymmetrischen, Gewalt begünstigenden Machtverhältnisse im Gewerbe und stehen den Auswirkungen und den gesellschaftlichen Hintergründen der Prostitution in ihrer jetzigen Form kritisch gegenüber.

In unserem Dossier “Prekär im Sexgewerbe” legen wir unsere Position ausführlich dar.

Beratung, Begleitung, Intervention

Unsere Beratung richtet sich an alle Menschen mit weiblicher Geschlechtsidentität, unabhängig vom bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht oder der sexuellen Orientierung (🏳️‍🌈 🏳️‍⚧️). Selbstbestimmung steht im Mittelpunkt unserer Beratung und weiterer Angebote. Wir orientieren uns an den Bedürfnissen und Ressourcen der Klientinnen und stehen parteilich und wertschätzend an deren Seite. Mit niedrigschwelliger, erstsprachlicher Ansprache und aufsuchenden Angeboten erleichtern wir besonders marginalisierten Gruppen den Zugang zum Hilfesystem.

Ziel unserer Arbeit ist nicht nur die Abwendung akuter Notlagen wie etwa bei Gewalt, sondern auch die Ausweitung der individuellen Handlungsspielräume sowie die Unterstützung bei der Entwicklung persönlicher – und gegebenenfalls auch beruflicher – Perspektiven.

Mehr über unsere Arbeit mit Menschen in der Prostitution erfahren Sie hier.

Öffentlichkeitsarbeit, Advocacy, Vernetzung

Das Ziel unserer Öffentlichkeits- und Vernetzungsarbeit ist es, über die Lebenslagen und die problematischen Strukturen im Gewerbe aufzuklären und Veränderung voran zu bringen. Dabei arbeiten wir ‚bottom up‘: Unsere Kenntnisse aus der praktischen Arbeit mit prekarisierten Gruppen tragen wir gezielt in Fachkreise und in die Politik und stehen den Medien mit unserer Expertise zur Verfügung. Um konkrete Probleme zu adressieren und Lösungen zu entwickeln, sehen wir alle Beteiligten in der Verantwortung: Wir sensibilisieren Mitarbeitende von Behörden und Ämtern und Akteur*innen des Hilfesystems, vermitteln Kenntnisse über die Problemlagen und bieten Raum für fachlichen Austausch.

Netzwerke, in die FIM sich einbringt:

  • Fachbeirat Prostitution in Frankfurt
  • Runder Tisch „Prostitution und Menschenhandel“ in Marburg
  • Runder Tisch „Prostitution in Mittelhessen“ der Stadt Gießen
  • Runder Tisch ProstSchG in Offenbach

Von FIM koordinierte Gremien:

  • Kommunaler AK Prostitution Frankfurt
  • Fachgespräch Prostitution im Bahnhofsviertel
  • Hessenweites Austauschtreffen zum ProstSchG für Mitarbeitende der Gesundheits- und Ordnungsämter
  • Hessenweite Vernetzungstreffen Streetwork

Weitere Informationen

Ansprechpartnerinnen


Dossier “Prekär im Sexgewerbe”


Stellungnahme Elvira Niesner, Öffentliche Anhörung im Menschenrechtsausschuss des deutschen Bundestages zum Thema „Menschenhandel und Zwangsprostitution in Europa“ (21. Mai 2014)


Elvira Niesner in „Zeitschrift für Menschenrechte“ 2/2014: „Armutsprostitution – eine gesellschaftliche Herausforderung “.


Rat und Unterstützung für Menschen in der Prostitution: Unsere mehrsprachige Info-Plattform PIA Hessen