Prekärer Aufenthalt

Menschenrechte müssen für alle gelten – auch wenn man keinen legalen Aufenthaltsstatus hat oder in prekären Aufenthaltsverhältnissen lebt. Wir unterstützen Betroffene dabei, eine Perspektive für sich zu finden und die existenzielle Grundversorgung zu sichern. Auch politisch engagieren wir uns, um die Härten des irregulären Aufenthalts zu mindern und Menschen- und Kinderrechte zu stärken.

Unsere Themen - Prekärer Aufenthalt

Hintergrund

Irregulärer Aufenthalt liegt vor, wenn Menschen in einem Land leben, für das sie kein Aufenthaltsrecht besitzen. Längst nicht alle sind illegal eingereist: Auch Personen, deren befristeter legaler Aufenthaltsstatus abgelaufen ist, geraten in die Illegalität – zum Beispiel abgelehnte Asylbewerber*innen, Auslandsstudent*innen, Tourist*innen oder Au-Pairs.

Auch EU-Bürger*innen können in eine prekäre Aufenthaltssituation kommen: Innerhalb von drei Monaten (bzw. bei erfolgsversprechender Arbeitssuche sechs Monate) nach der Einreise müssen sie den Lebensunterhalt für sich und ihre Angehörigen selbständig sichern können sowie über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügen.

Gelingt das nicht, haben sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen und können von den Behörden zur Ausreise aufgefordert werden.

Wer irregulär in Deutschland lebt, muss sein Leben im gesellschaftlichen Dunkel- oder Graufeld führen. Deshalb gibt es keine gesicherten Angaben zur Zahl der Betroffenen in Deutschland.

Die Lage der Betroffenen

Menschen in prekären Aufenthaltssituationen sind vielen Risiken des Lebens schutzlos ausgeliefert. Die Nutzung lebensnotwendiger und alltäglicher Versorgungs- und Unterstützungsleistungen birgt das Risiko, dass ihr Status aufgedeckt wird. Die Angst vor Abschiebung durchzieht das ganze Leben und ist eine große psychische Belastung. Sie haben weder Krankenversicherung noch Zugang zum Sozialsystem. Oft wohnen oder übernachten sie unter unzumutbaren Bedingungen, verbunden mit absolut überzogenen Kosten. Ihren Lebensunterhalt erwirtschaften sie als billige, jederzeit kündbare Arbeitskräfte in Privathaushalten, im Bau- oder Reinigungsgewerbe, in der Gastronomie oder in der Kranken- und Altenpflege. Dort werden sie irregulär unter Umgehung der Sozialversicherungspflicht und ohne Krankenversicherung beschäftigt. Der Lohn ist oft unangemessen – oder wird ganz vorenthalten. Zahlreiche junge Frauen aus Mittel- und Osteuropa sind zudem prekär in der Prostitution tätig.

Krankheiten, Unfälle und Schwangerschaften, der Verlust der Wohnung oder der Arbeitsstelle, die Trennung vom Partner oder einfach die Absicht, ein Kind einzuschulen oder es im Kindergarten anzumelden, können für alle Betroffenen stets eine Krise bedeuten.

Kinder und Jugendliche

Die Konsequenzen einer irregulären Aufenthaltssituation treffen Kinder häufig besonders hart und wirken sich weitreichend auf ihr Leben aus. Daher konzentriert sich FIM mit einem Projektschwerpunkt auf Kinder, Jugendliche und deren Familien mit prekärem oder irregulärem Aufenthaltsstatus.

Bedarfe

In den meisten Fällen sind fast alle Lebensbereiche der Betroffenen stark von Prekarität geprägt. Neben dem grundlegenden Problem der Statuslosigkeit muss die existenzielle Grundversorgung und die Wahrung der Menschenrechte verbessert werden:

  • Sicherung des Kindeswohls,
  • medizinische Versorgung,
  • Unterkunft,
  • sichere Unterkunft für von Gewalt betroffene Frauen,
  • Zugang zu Bildung für Kinder

Darüber hinaus brauchen Betroffene oft Unterstützung dabei, eine individuelle Zukunftsperspektive zu entwickeln. Viele Fragen müssen geklärt werden: Auf ein Bleiberecht hinarbeiten oder die Rückkehr vorbereiten? Wie kann die Integration in den regulären Arbeitsmarkt gelingen? Wie lässt sich die Isolation überwinden? Wie können in einem von Sorge geprägten Alltag Freiräume und Entlastung für Kinder und Eltern geschaffen werden?

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Beratung und Begleitung

Wenn Ratsuchende in einer akuten Notsituation zu uns kommen, leisten wir schnelle Hilfe bei der Suche nach einer Unterkunft oder stellen das Nötigste zum Leben bereit, wie etwa Kleidung oder Hygieneartikel. In der Beratung versuchen wir zunächst, die Aussichten auf einen regulären oder legalen Aufenthaltsstatus zu klären, und unterstützen bei der Beantragung von Asyl oder von Aufenthaltsgenehmigungen. Auch die Option, in das Herkunftsland zurückzukehren, wird besprochen.

Häufig ist es eine Schwangerschaft, die betroffene Frauen dazu bringt, Rat zu suchen. Mit der Geburt eines Kindes ergibt sich oft eine Möglichkeit zur Legalisierung, wenn der Vater einen deutschen Pass oder eine Niederlassungserlaubnis hat und die Vaterschaft anerkennt. Sind Kinder im Spiel, ist das primäre Ziel zunächst die Sicherstellung des Kindeswohls und der gesundheitlichen Versorgung von Mutter und Kind.

Wichtig ist es auch, nach Möglichkeit die soziale Absicherung zu verbessern, etwa durch die Beantragung von Sozialleistungen, auf die in Einzelfällen Anspruch bestehen kann. Langfristig unterstützen wir Betroffene dabei, Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe zu finden und wahrzunehmen.

Darüber hinaus berät FIM Familien mit Kindern aus Drittstaaten, die alle asylrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft haben und deren Abschiebung in das Herkunftsland bevorsteht. Dort drohen oft massive Gewalt und Verfolgung, sodass eine Rückkehr einfach kein gangbarer Weg ist. Diese Familien stehen kurz davor, in die Illegalität zu geraten. Mit Mitteln wie Petitionen, Anträge im Rahmen des Dublin Verfahrens und an die Härtefallkommission versuchen wir, dies abzuwenden.

Advocacy und Vernetzung

FIM engagiert sich auch öffentlich und politisch für die Menschenrechte von Migrant*innen in prekären Aufenthaltslagen – etwa im Frankfurter Arbeitskreis für EU-Bürger_innen, der vom Frankfurter Amt für Multikulturelle Angelegenheiten (AMKA) koordiniert und geleitet wird.

Seit 2008 arbeitet FIM mit in der Härtefallkommission beim Hessischen Ministerium des Innern und für Sport. Das behördenunabhängige Gremium besteht aus verschiedenen Mitgliedern der Landespolitik und zivilgesellschaftlichen Verbänden und Vereinen. Es prüft das Ersuchen von Personen, die in Deutschland leben, aber nach den allgemeinen Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes keine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Wenn der Verbleib in Deutschland im Einzelfall durch dringende humanitäre oder persönliche Gründe gerechtfertigt ist, kann die Kommission die Erteilung eines legalen Aufenthaltstitels empfehlen. Die Entscheidung obliegt dann allerdings dem Hessischen Innenminister.

Unsere Forderungen

Im Sinne der Menschenrechte setzen wir uns dafür ein,

  • dass Erwachsene und Kinder mit prekärem Aufenthaltsstatus uneingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten, ohne Gefahr zu laufen, aufgedeckt und abgeschoben zu werden (Aufhebung der Übermittlungspflicht nach § 87 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz).
  • dass Kindern, die in der Illegalität geboren werden, eine Geburtsurkunde ausgestellt wird.
  • dass für die Betroffenen faktische Möglichkeiten geschaffen werden, gegen Unrecht vorzugehen, das ihnen widerfahren ist (z.B. vorenthaltenen Lohn einzuklagen).
  • dass vorhandene Notunterkünfte und Frauenhäuser auch von Menschen ohne Aufenthaltsstatus genutzt werden können.
  • dass Ausländerbehörden für die freiwillige Ausreise eine Grenzübertrittsbescheinigung ohne Ausweisungsverfügung ausstellen, denn diese zieht immer ein Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbot nach sich.
  • dass Statuslose, die über viele Jahre oder Jahrzehnte gut in Deutschland Fuß gefasst haben, Legalisierungsmöglichkeiten erhalten.
  • dass Behörden sowie öffentliche und soziale Einrichtungen vorhandene Handlungsspielräume zum Wohle der Kinder und Jugendlichen nutzen. Denn im staatlichen Interesse muss es liegen, Schaden durch gesundheitliche und soziale Ausgrenzung für die Betroffenen sowie in der Folge für die gesamte Gesellschaft zu vermeiden.

Unsere Erfolge

Bis 2009 mussten Familien ohne Status fürchten, aufgedeckt und abgeschoben zu werden, wenn die Kinder in den Kindergarten oder in die Schule kommen. 2009 schaffte Hessen die Pflicht für Schulleiter*innen ab, Kinder ohne gültigen Aufenthalt zu melden – dafür hatten FIM und andere Organisationen sich jahrelang eingesetzt. 2011 zog der Bund mit §87 Aufenthaltsgesetz nach – heute ist der Zugang zum Bildungssystem frei für jedes Kind.

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Weitere Informationen

Ausländer-Statistik. Migration nach Deutschland


Lebenslage “illegal”. Menschen ohne Aufenthaltsstatus in Frankfurt am Main, von Wolfgang Krieger, Monika Ludwig, Patrick Schupp, Annegret Will. Karlsruhe 2006.


Die Perspektive der Betroffenen – was bedeutet es, mit prekärem oder gar keinem Aufenthaltsstatus zu leben? Zwei Videos auf der „Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants“ (PICUM)“What Safety means for undocumented people” und „Sabrina“